02. August 2019
Erdogan versus Böhmermann - den BGH geht das gar nichts an!

Der Bundesgerichtshof hat am 31.07.2019 Az. VI ZR 231/18 abgelehnt die Nichtzulassungsbeschwerde des Moderators Jan Böhmermann zur Entscheidung anzunehmen. Der VI. Zivilsenat braucht dafür keine lange Begründung. Er stellt lediglich apodiktisch fest:

 

"Die Nichtzulassungsbeschwerde hat keinen Erfolg. Die Rechtssache hat weder grundsätzliche Bedeutung noch erfodert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts".

 

Aber ist das wirklich so? Geht es in dem Fall nicht doch um die grundsätzliche Frage der Abwägung zwischen den angesprochenen Grundrechten, nämlich dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht und der Kunstfreiheit? Bleibt die Frage, ob ein Richter ein Kunstwerk nach belieben "zerstückeln" kann, um derart einen rechtmäßigen Gehalt des Werkes aufrecht zu erhalten, nicht doch weiterhin unbeantwortet?

 

Ich meine nein und ja! Nein, denn im Fall Erdogan gegen Böhmermann ist eine Abwägung mit der Kunsfreheit bisher nicht entscheidungserheblich. Es kommt also in diesem Fall nicht auf eine Abwägung zwischen Kunstfreiheit und Persönlichkeitsrechtsschutz an. Das Oberlandesgericht Hamburg hat den Äußerungen des Moderators Böhmermann einen Schutz durch die Kunstfreiheit versagt. Die von Böhmermann selbst als "Schmähgedicht" bezeichneten Beleidigungen des türkischen Präsidenten sind schlicht keine Satire, also keine Kunst. Das Oberlandesgericht Hamburg führt dazu in seiner Entscheidung vom 15.05.2018 AZ, 7 U 34/17 aus:

 

"Satire kann, muss aber nicht Kunst im Sinne von Art. 5 Abs. 3 GG sein (BVerfG, Beschl. v. 12.11.1997, Az. 1 BvR 2000/96, NJW 1998, S. 1386 ff, 1387 f.). Kunst im Sinne des Art. 5 Abs. 3 GG ist eine satirische Äußerung nur dann, wenn sie die weiteren Voraussetzungen des verfassungsrechtlich maßgeblichen Kunstbegriffs erfüllt. Hierfür kommt es nicht darauf an, ob der Beklagte die von ihm vorgetragenen Verse selbst verfasst hat; denn die Kunstfreiheit schützt nicht nur den engeren Werkbereich, sondern auch den Wirkbereich künstlerischer Werke, also die Maßnahmen zu ihrer Verbreitung wie den öffentlichen Vortrag (BVerfG, Beschl. v. 3.11.1987, NJW 1988, S. 325 ff., 325 f.). Gegenstand von Kunst kann natürlich auch das Ausdrücken politischer Kritik sein. Ein im Sinne von Art. 5 Abs. 3 GG künstlerisches Werk ist ein Werk dann, wenn es ein Produkt freier schöpferischer Gestaltung ist, in der Eindrücke, Erfahrungen, Erlebnisse des Künstlers durch das Medium einer bestimmten Formensprache zu unmittelbarer Anschauung gebracht werden, indem Intuition, Phantasie und Kunstverstand zusammenwirken; im Vordergrund des künstlerischen Werkes steht nicht primär die Mitteilung, sondern der Ausdruck, nämlich der unmittelbare Ausdruck der individuellen Persönlichkeit des Künstlers und seines inneren Erlebens (BVerfG, Beschluss vom 17.07.1984 - 1 BvR 816/82, NJW 1985, S. 261 ff., 262). Ob den Zuschauern der Sendung des Beklagten mit dem Vortrag der von dem Kläger beanstandeten Verse ein Werk in diesem Sinne geboten worden ist, ist eher zweifelhaft. Schon die Gestaltung der Sendung des Beklagten macht deutlich, dass ihm und den weiteren Mitwirkenden etwas Derartiges zu bieten ersichtlich fern liegt. Sie machen sich in ihrem Beitrag zwar zum Sprachrohr einer dem Kläger kritisch gegenüberstehenden Richtung und illustrieren die Haltung der Vertreter dieser kritischen Richtung in scherzhafter Weise; weder die Form der Darbietung noch der Inhalt der Texte - sowohl der hier angegriffenen Verse wie des Umfeldes, in dem sie vorgetragen werden - spiegeln indessen ein individuelles Erleben des Beklagten, der sonstigen Mitwirkenden der Sendung oder des Autors der Verse wider. Es dominiert nicht nur das Element der Stellungnahme im öffentlichen Meinungskampf, der ganze Auftritt präsentiert sich als eine solche Stellungnahme, die keinen Anspruch darauf erhebt, das Geschehen und seine Verarbeitung auf eine höhere Ebene zu heben. Gegen die Einordnung als Kunst spricht auch die schlichte und stellenweise erkennbar nicht vollständig durchdachte Machart des Beitrags.

So werden z.B. an einer Stelle - sicherlich unbeabsichtigt - der blutige Mordanschlag auf die Redaktion des Pariser Satiremagazins „Charlie Hebdo“ und dessen Folgen verharmlost, indem die von Menschen, die sich mit der Zeitschrift solidarisierten, initiierte Kampagne „Je suis Charlie“ zu einem oberflächlichen Scherz herabgezogen wird („je suis ‚e‘“); an anderer Stelle werden oberflächliche Namenswitze gemacht („Unser S-Anwalt Dr. C. W.“). Das sind Begleitumstände, die zu dem Ziel, in einer ein inneres Erleben widerspiegelnden Form die eigene Individualität zum Ausdruck zu bringen, so wenig passen, dass von dem Vorliegen eines künstlerischen Konzepts kaum ausgegangen werden kann."

 

Und ja, die Grundsätze der Abwägung zwischen dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht und der Kunstfreiheit nach Art 5 Abs. 3 GG sind in der Rechtsprechung nicht abschließend geklärt. Eine höchstrichterliche Entscheidung zur Frage, ob ein Kunstwerk, das das allgemeine Persönlichkeitsrecht eines anderen verletzt, nach Gutdünken des Richters in einen zulässigen und einen unzulässigen Teil aufgespalten werden darf, ist durchaus wünschenswert und dient meiner Auffassung nach nicht nur der Fortbildung des Rechts, sondern ist auch von grundsätzlicher Bedeutung. Es wird sich zeigen, ob Böhmermann, vertreten durch seinen Rechtsanwalt Christian Schertz, den Gang zum Bundesverfassungsgericht tatsächlich unternimmt und das Bundesverfassungsgericht sich dieser wirklich interessanten Frage annehmen wird. An dem Ergebnis des Rechtsstreits wird sich dadurch aber wohl wenig ändern, denn unabhängig von der Frage, ob die Äußerungen als Gesamtheit oder nur in Teilen untersagt werden können/müssen, verletzen sie nach dem Verständnis unserer demokratischen Rechtsordnung das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Betroffenen. Auch ein türkischer Präsident kann sich danach in Deutschland auf den Schutz seines allgemeinen Persönlichkeitsrechts, auf den Schutz unseres Grundgesetzes berufen.

Gut so!

 

Ein Kommentar von Rechtsanwalt Daniel Tobias Czeckay zur Causa Böhmermann.